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Immer wieder kritisiere ich Rabbiner. Oft bin ich unzufrieden mit ihren Entscheidungen, ihrem Mangel an Mitgefühl, ihrer Unwilligkeit, sich in die Lage einer anderen Person zu versetzen, und meistens ist diese andere Person weiblich. Ich spreche es an, ich stelle sie infrage. Ich habe mit einigen Rabbiners gestritten, und auch wenn wir alle höflich bleiben und uns wie Ewachsene verhalten, vergesse ich nicht die Erfahrungen, die ich gemacht habe.

Die Rabbiner und anderen (meistens männlichen) Anführer der jüdischen Welt sowie das, was das Judentum heute ist, sind der Grund, warum ich diesen Blog ins Leben gerufen habe. Viele Entwürfe liegen in meinen Darfts, aber heute habe ich endlich die Motivation gefunden, wieder zu schreiben.

Dieses Mal ist die Motivation nicht Frustration, Wut, Ärger oder Verbitterung. Ich bin beeindruckt. Ich bin angenehm überrascht von der ORD – Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland -, dem deutschen orthodoxen Rabbinatsgericht. Ich bin erfreut, über so manchen Rabbiner, ihre Worte und ihren Mut, öffentlich klar zu sprechen.

Am Donnerstag, dem 15. Juni 2023, veröffentlichte die JTA einen ausführlichen Artikel auf Englisch. Darin ging es um einen „Rabbiner“ in Berlin, der entlassen wurde, weil Vorwürfe laut wurden, dass er junge Frauen belästigt und sexuell ausgenutzt hatte. In den folgenden Wochen kamen weitere Informationen ans Licht, und Menschen sprachen weiter darüber und teilten es in sozialen Medien.

Artikel von The Times of Israel und der Jerusalem Post
Aber auch die Berliner Zeitung und die Bild Zeitung und natürlich die Jüdische Allgemeine, um nur einige zu nennen.

Bis heute habe ich die Artikel, Beiträge, Kommentare und vor allem die Entscheidung des Bet Dins verfolgt:

Aus persönlichen Gründen war ich in letzter Zeit sehr ruhig und habe mich daher auf meinen Social Media Kanälen noch nicht dazu geäußert. Aber ich habe versucht, mit meinen Freunden, Familie, Kollegen und im Grunde bei allen, die mir zugehört haben, darüber zu sprechen. Diese Gespräche haben teilweise schockiert, wenn auch nicht nicht überrascht. Kommentare wie „Was hatten die Frauen an?“, „Was ist mit der Unschuldsvermutung?“, „Wie können wir wissen, dass alles wahr ist?“, „Wie konnten sie es zulassen?“ und viele andere mehr.

So schmerzhaft es auch war, diese Fragen im Internet als Kommentare auf Facebook, Twitter, Instagram zu lesen, so sind die meisten dieser Menschen, die sie stellten Fremde. Was aber schlimmer war, waren die Menschen, mit denen ich persönlich sprach. Die (meist männlichen) Personen, denen erklärt werden musste, dass Frauen keine Berühmtheit dadurch erlangen, dass sie sich darüber zu äußern, sexuell belästigt oder ausgenutzt worden zu sein. Ich musste diesen Menschen erklären, wie viel Mut es erfordert, dass diese Frauen tatsächlich zugeben, dass ihnen etwas Schreckliches und Traumatisches widerfahren ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass diese Frauen immer noch Teil des orthodoxen Judentums sind, wo es möglicherweise ein Stigma – für die Frauen, nicht für den „Rabbiner“ – ist, und sie dennoch mutig waren und entschieden haben, sich zu äußern; sich nicht von seinen Drohungen einschüchtern zu lassen. Viele von ihnen ohne die Unterstützung ihrer Familie. Das erfordert viel mehr Stärke, als ich mir je vorstellen kann.

Dass mancher Mann all das erst nach einer langen, ausgiebigen Erklärung verstehen kann, erstaunt mich.

Was hat sich geändert? Was hat mich motiviert, nicht nur alles, was gesagt wurde, zu teilen, sondern endlich auch einen ganzen Post zu schreiben?

In den Tagen vor Tischa BeAv, dem traurigsten Tag im jüdischen Kalender, habe ich die Instagram-Storys von Shoshanna Keats Jaskoll, die ich schon lange bewundere, und von FlatBushGirl verfolgt. Beide haben über Agunot, „gefangene“ Frauen, geschrieben; über die missbrauchende Männer, die ihren Ehefrauen eine jüdische Scheidung verweigern; und über die Batei Din und Rabbiner, die willige Komplizen sind und Frauen erpressen, beschämen und in Fesseln halten.

Wir können so viel wir wollen „nicht alle Männer“ sagen. Aber das deutsche Bet Din und viele ihrer Rabbiner haben sich geäußert; den Frauen zugehört; es ihnen erlaubt, gehört zu werden und ihnen geglaubt. Und sie setzen sich weiter für sie ein. Das mag wie das einzig Richtige erscheinen, was sie hätten tun können, und ich möchte glauben, dass sie genau das gefühlt haben, aber wir alle wissen, aus Erfahrung oder anderen Fällen oder einfach aufgrund der Reaktionen, die dieser Fall online und offline hervorgerufen hat, dass es traurigerweise nicht immer der Fall ist.

Wie würde eine jüdische Welt aussehen, wenn mehr Rabbiner, jüdische Führer und Batei Din mit mehr Mitgefühl, Bedacht und Unterstützung handeln würden?

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